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Freiheit aushalten

Anmerkungen zur Arbeit von Grzegorz Pleszynski

von Adolf H. Kerkhoff

Fragen der Kunst und des täglichen Lebens

sind nicht zu trennen.

Mieczylaw Szczuka

 

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte – so lautet ein altes Bonmot der Werbung ,das die Kunstwelt mehr als Flucht denn als Segen übernommen hat .In einer künstlerischen Performance nämlich fallen leicht mehr als tausend Worte – trotzdem entsteht kein kohärentes Bild .Dieses Paradoxon kennzeichnet sehr treffend ebendiese Kunstform ,die genau zwischen bildender und darstellender Kunst steht .

Um sie vom Grunde her zu verstehen hilft idealerweise die klassische Fußball-weisheit von Alfred "Adi" Preißler : "Grau ist alle Theorie – Entscheidend ist auf´m Platz" .

Entfernt man sich jedoch vom Platz der Performance als Ort des Kunstschaffens ,so hinkt dieser Vergleich natürlich schon nach einigen Metern – Kunst und Fußball sind eben verschiedene Ersatzreligionen .Andere wissenschaftlich gebräuchliche Hilfskategorien jedoch ,etwa aus der Archaik : "Schamanismus" ,oder aus der Subkultur : "Zirkus" ,kommen gar nicht erst so weit .Dieser Umstand wirft zwei Fragen auf : Zielen die Vergleiche ungenau oder ist der Begriff der Performance so ausufernd ,daß sie als Kunstform eigentlich nicht zu (er)fassen ist ? Und : Ist diese Ausuferung in erster Linie eine große Chance zur Verbreitung dieser Kunstform oder nicht vielmehr die mächtige Gefahr ,sich in der eigenen Beliebigkeit zu verlieren ?

Stellen wir diese beiden Fragen nun an das Werk von Grzegorz Pleszynski so erkennen wir zunächst ,daß er als Performancekünstler in der Tradition des Happenings ,vor allem aber in der des Fluxus steht ,ja daß er diese Tradition selbst lebt .Und das Fluide ,das Verflüssigen des klassischen Kunstbegriffes ist der Treibstoff seiner Arbeit gegen die klassische Kunstaufteilung in : Meister + Werk + Betrachter .Werke können wir bei ihm immer da verorten ,wo der Künstler das Fluide zum Stocken bringt ,im Kunst-Werk wie in der Kunst-Aktion .

Um dies zu verstehen ,hilft es ,die Arbeit von Grzegorz Pleszynski in und mit der Performance im Detail zu betrachten .Von der Form her gesehen ,besteht es "nur" aus zwei Teilen – Künstler und Publikum – ästhetisch aber birgt es einen Überfluß von Möglichkeiten .

Wir finden bei ihm – kurz gesagt – eine Choreographie von Rede und Bildern durchdrungen von Musik und Aktion unter einem Video-Schirmbild in Interaktion mit dem Publikum .Dabei erkennen wir innerhalb der Struktur der Performance ein Muster von Elementen im artistischen Rhythmus .

Betrachten wir also die in seiner Performance enthalten Elemente ,exemplarisch anhand der Aktion "Antidepressive Performance über Harmonie " im Lokal Harmonie in Duisburg-Ruhrort am 12.10.2013 – wir finden dort :

  • Die quasiphilosophischen Vorträge (zumeist auf Englisch) in der Tradition der christlichen Wanderprediger des frühen 20. Jahrhunderts ,zu selbstproduzierten Bildern ("Schildern") die in der Art der Verwendung des Bildmaterials in der Vorführungen an Bänkelgesang des 18.-19. Jahrhunderts erinnern .

Der Inhalt dieser Reden bezieht sich auf die Kultur als ursprünglich positive Quelle ("Source") und ihre zumeist negativen religiös-ideologischen Ausprägungen ("Points") in Bild und Sprache .Sie sind jedoch keine bloßen Akklamationen sondern zugleich Handlungsanweisungen an das Publikum ,die allzu persönlichen Betroffenheiten ("Pain") zugunsten einer aktiven Suche nach den Quellen der Erkenntnis hintanzustellen .

Der Gehalt der Bilder speist sich aus drei Quellen .Zum einen ist es die dreieckige Form ,die an Verkehrsschilder gemahnt ,zumeist als Gefahrzeichen ,mit einer langen Seite am Unterrand ,seltener als Vorschriftzeichen ,auf einer Spitze stehend .Zum anderen ist es der Inhalt . Piktogramme mit und ohne Textzusatz einerseits ,Vorlagen aus der Kunstgeschichte andererseits .

Bei diesen Vorlagen sticht besonders der Isenheimer Altar hervor ,dessen zentrale Szene der Künstler in vier Schilder übertragen hat ,wobei der Blutstrahl aus der Brust Christis aus dem rechten Schild über ein weiteres Schild hinweg das dritte blutrot füllt .Darüberhinaus hat dieses Werk einen doppelten Boden : die Form der vier Schilder entspricht nämlich dem Logo des Entertainment-TV-Senders VIVA .

Bei den Piktogrammen finden wir zum einen beißende Bildgeschichten ,die sich über mehrere Schilder hinweg gewalttätig entwickeln ,und zum anderen Einzelschilder mit Nationalitäts- und Religionszugehörigkeitsbezeichnungen und Richtungspfeilen .Diese Schilder werden zumeist in Gruppen gehängt .Was ganz harmlos anklingt wird spätestens dann brandgefährlich für den Künstler ,wenn Betroffene – oder sich selbst betroffen Fühlende – etwa an ein Pfeil-Schild mit der Aufschrift "Jews" geraten .Dann nämlich funktioniert eine

einfache Tafel wie eine Zeitmaschine mit nur einen einzigen Destination : die Jahre 1933 - 1945 .

  • Die spontane Musik auf selbstgebauten Primitivinstrumenten ohne Grifflöcher ,Ventile oder Klappen .Die Tröten des Grzegorz Pleszynski bestehen aus metallenem Mundstück ,Plastikschlauchkorpus und Plastik- oder Metallschalltrichter .Dabei reicht der Kalauer bis ins Werk hinein : der Plastikschalltrichter ist eigentlich bzw. ursprünglich ein Trichter für Flüssigkeiten ,und wird so quasi zum Fluxustrichter !

  • Die teils dramatischen körperliche Bewegungen in Verbindung mit der Vorführung der Musik ,entweder – mit oft hochrotem Kopf – auf dem Boden oder aber in der Luft ,vermittels instrumentaler Schleuderaktionen .

  • Die musikalische Begleitung und Unterstützung durch zusätzlich anwesende Spieler ,die Rhythmen vorgeben und Klangteppiche unterbreiten .

  • Die Begleitende Vorführung von selbstgedrehten Filmen von eigenen ,früheren Aktionen als bewegter Hintergrund (z.B. Garbage 2001)

  • Die Einbeziehung des Publikums – durch situative Einladung ins Werk – in Form von :

    • Spontaner Orchesterbildung durch Verteilung von individuell wählbaren Instrumentausprägungen (= Schlauchstücke - "Longer or Shorter ?") ,unter dem Stärkerwerden der gemeinsamen "Blasmusik" mit der Zunahme der Zahl der Musikanten .

    • Beteiligung der Anwesenden an der Vermüllung des Veranstaltungs-ortes mittels geknülltem Papier – das zusätzlich noch zur Erzeugung von musikalischen Raschelgeräuschen gebraucht wird (inkl. der späteren Entmüllung) .

    • Gemeinsames und wechselweises Schreien mit Anwesenden : eine Art Parodie auf die Urschreitherapie – zumindest hat es der Autor als Teilnehmer so empfunden !

    • Vorführung von an Zauberkunststücke erinnernde Schüttexperimenten mit Wasser und Zeitungen .

    • Diskussion mit den Teilnehmern des Happenings zur Verortung der philosophischen Position des Künstlers : dabei zeigt es sich ,daß Grzegorz Pleszynski in all seiner gelebten Spontaneität der Ethik Spinozas näher steht als der Chaostheorie und daß er die Trennung von Zeichen und Symbol in seiner Arbeit nicht akzeptiert .

Die besondere Bedeutung des Publikums für die Arbeit von Grzegorz Pleszynski erkennt man deutlich an den Unterschieden zwischen Aktionen mit Kindern und solchen mit Erwachsenen .Die Aktionen mit Kindern sind bei weitem nicht so komplex die wie mit Erwachsenen setzen aber auch andere Akzente .So folgt er dem bei Kindern stärker ausgeprägten motorischen Drang gern nach Draußen vor die Tür und er kommt auch der kindlichen Spiellust entgegen ,etwa durch Verkleidung mit falschen Bärten .So geschehen am 13.10.2013 bei der Performance "Harmoniestraße" vor dem Lokal Harmonie in Duisburg-Ruhrort .

Den Rhythmus der Aktion bestimmt wesentlich der Künstler selbst : er ergibt sich – weitgehend spontan – aus dem vorhandenen Material ,der momentanen Verfassung des Künstlers und dem Grad der Bereitschaft des Publikums .Ein Muster läßt sich daher zumeist erst im Nachhinein erkennen ,speziell dann ,wenn die Aktion per Video dokumentiert wurde .

Teile des Werkes von Grzegorz Pleszynski ,die in seinen Aktionen zusammen erscheinen haben aber auch eine Einzelberechtigung als eigenständige Arbeiten : da ist zum einen die Musik ,die es separat auch als CD-Aufnahmen ("Antidepressant music in the car") gibt .Zum anderen sind da die Bilder und Bildserien als selbständiger Teil des Werkes .Und nicht zuletzt auch die Videos von Aktionen des Künstlers .

Wie vielseitig Grzegorz Pleszynski als Performancekünstler ist ,zeigt sich gerade auch ,wenn er sich an Gemeinschaftsaktionen beteiligt .Dann bringt er – so z.B. am 10.10.2013 im Rahmen der Programmfolge "INVERSCITY" in Oberhausen (Rhld.) – Einzelelemente seiner eigenen Performance "spielend leicht" in das Ensemble ein ,so daß sich ein gemeinsamer audiovisueller Akkord aller Beteiligten herausbilden kann .

Damit ist die eine der zu Anfang gestellten beiden Fragen schon beantwortet : Nein ,die kulturell virulente Gefahr der Beliebigkeit erwächst durchaus nicht aus der Vielzahl der Möglichkeiten die sich dem Künstler Grzegorz Pleszynski auftuen .Vielmehr wird sie beherrscht von der Übermacht seiner künstlerischen Kraft aus Orten ,Situationen und Beigaben wie Vorgaben stetig etwas Neues ,und zugleich – diese Hebung ist wichtig – Eigens zu schaffen .Auf diese Weise wird die Existenz des Künstlers selbst als "work in progress" unter der Prämisse "Freiheit aushalten" quasi zum Gesamtkunstwerk .Um dabei nur ein Beispiel seiner künstlerischen Potenz zu nennen : ich glaube nicht ,daß ein Betrachter seiner Arbeit den Isenheimer Altar jemals mehr ohne seine "Beschilderung" wird sehen können .

Die zweite Frage betrifft die Genauigkeit ,besser die Ungenauigkeit der Vergleichs-möglichkeiten .Hier lautet die eindeutige Antwort : Ja .Performance ist schließlich – laut Wikipedia – "ein Konzept, in dem Widerspruch und Meinungsverschiedenheit bereits enthalten sind." Hinzukommt ,daß der Begriff "Performance" aktuell einer ideologischen Inflation unterliegt : jedes Erscheinen eines Produktes, jeder Auftritt einer Organisation usw. wird neudeutsch als "Performance" bezeichnet .Dagegen ist die Verwendung des Begriffs "Happening" ,wohl zugunsten von "Event" ,nachgerade selten .Und was tröstlich ist : Fluxus ist die einzige Kunstrichtung die bis heute ohne ein "Neo" durch die Zeiten gekommen ist .Das liegt – im Idealfall – daran ,daß sie immer wieder "frisch" produziert wird .Damit entzieht sie sich aber aktiv jeder Kategorisierung ,jeder Gegenüberstellung und jedem Vergleich – außer mit sich selbst .Fazit : Wenn Kunst den Betrachter sprachlos und den Theoretiker hilflos macht und das einzige Mittel dagegen ist diese Kunst selbst – dann ist sie gut .Ergo ist Grzegorz Pleszynskis Arbeit in Sachen Performance ,Happening und Fluxus wirklich gute Kunst .

Nach einem Diktum des amerikanischen Malers Philip Guston ist der einzige wahre Besitz der Kunst ihre Freiheit .Das klingt so leicht ,ist aber so schwer zu realisieren und beinahe unmöglich zu leben – wenn man die Kunst Ernst nimmt .Und genau dies spiegelt sich – bei all dem Spaß den es macht – im Werk von Grzegorz Pleszynski .

 

© Adolf H. Kerkhoff 2014

Grzegorz Pleszyński - Up and Down, Freies Museum Berlin

Mit der Einzelausstellung des Künstlers Grzegorz Pleszyński beendet das Freie Museum Berlin das Jahr 2011. Unter dem Titel Up and Down zeigt der polnische Kuenstler seine neuesten Arbeiten, die sich mit zwischenmenschlichen aber auch politischen Beziehungen, besonders innerhalb der EU befassen. 

Die Arbeit Lesung EU besteht aus evokativen Symbolen in Form von Verkehrszeichen, die das grosse Interesse des Künstlers an sozialen Bewegungen zeigen, aber andererseits auch auf die kontraproduktiven Beziehungen und inneren Spannungen der Europäischen Union aufmerksam machen.

Der Betrachter selbst nimmt in diesem Spiel eine aktive Position ein. An ihm ist es, die Positionen der gezeigten Symbole jeweils neu zu arrangieren und damit die gesamte Wahrnehmung des komplexen Netzwerks bestehend aus Ideen und Stereotypen zu ändern.

Diese Interaktionen und Assoziationen beschreiben das Aufkommen von Uneinigkeit und Wahrnehmungen einer von Krisen geprägten Zeit. Einer Krise, die aus dem Kontext der gegenseitigen Abhängigkeit der Staaten, aber auch aus deren jeweiligen Machtinteresse erwächst.(...)
Pleszyński's Arbeiten nehmen einen eigenen Standpunkt ein – sie erlauben durch die Interaktion zwischen den Werken und dem Individuum einen erstaunlich komplexen Blick auf die Geschehnisse und Zusammenhänge zwischen Politik, Individuum und Umwelt, weisen auf zahllose Verbindungen hin und lassen in ihrer flexiblem Logik Freiraum fuer die eigene Interpretation.

freies-museum.com

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